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Das Warten

Ein Extrakapitel über das Warten mag für einen Außenstehenden möglicherweise absurd erscheinen. Wer jedoch bereits in Brasilien war, wird mir die Daseinsberechtigung dieses Textes bestätigen können.
Nach meinen Erfahrungen ist das Warten eines der liebsten Hobbys des Brasilianers, dem er bevorzugt in der Gruppe frönt. Ist ja zugegebenermaßen eine tolle Beschäftigung, denn warten kann man immer und überall, eine spezielle Ausrüstung ist auch nicht erforderlich. Auf Grund der hohen Popularität dieses Steckenpferdes findet der Wartewillige im ganzen Land auf breiter Linie Unterstützung.
Diese Unterstützung kann zum Beispiel darin bestehen, dass Brasilianer gerne exzessiv zu spät kommen - okay, sind halt keine Deutschen –, woraus sich aber dann für denjenigen, der zufällig pünktlich ist (oder dummerweise weniger zu spät zu einer Verabredung erscheint) die wunderbare Möglichkeit des Wartens ergibt.

Und wenn im Supermarkt beispielsweise dank der 20 geöffneten Kassen nun nicht gleich zehn Kunden vor einem in der Schlange stehen, wird sich das ganze Prozedere mit Sicherheit trotzdem wesentlich länger hinziehen, als es zunächst den Eindruck erwecken mag. Eine Ursache für die Verzögerung beim Bezahlen liegt darin, dass es die Verkäuferinnen nicht ganz so eilig haben und somit einen großen Kontrast zur heimischen Kassierroboterin am Barcode-Scanner im Supermarkt um die Ecke darstellen – hier in Brasilien wird auch schon mal während eines Abkassier-Vorgangs mehrmals das Transportband abgewischt. Zu Verzögerungen und Überraschungen, die zu ebendiesen führen, kommt es dabei selbstredend nicht nur im Supermarkt, sondern auch in anderen Einrichtungen mit Schaltern (Busbahnhof, Post, Amt…).
Dabei erfreut es mich jedes Mal besonders, wenn gerade mein Vordermann beim Bezahlen nicht in bar oder mit Karte (dauert auch schon länger als bei uns) bezahlt, sondern sein Scheckheft zückt und erstmal in Ruhe sein Papierchen ausfüllt – während ich dann tendenziell zum Augenrollen neige (hat sich schon gebessert, bin ja anpassungsfähig), stört das die Anderen in der Schlange nicht im Geringsten und die Kassiererin freut sich über die kleine Pause, kann sie doch einmal mehr das Band abwischen.

Eins muss man dem Brasilianer dann aber auch wieder anrechnen, das Warten hat Klasse: An der Bushaltestelle sieht man keine Menschentraube oder verstärkte Grüppchenbildung, sondern eine saubere Schlange mit einem hinter dem anderen. Vor einem etwaigen Vordrängeln sei dann aus gruppendynamischen Gründen bei den temperamentvollen Brasilianern abgeraten.

Ich habe aber auch schon ein Gruppenwarten erleben dürfen, wo keiner sagen konnte, worauf jetzt eigentlich gewartet wird – Hauptsache warten!

© Robert Köllein 2005